Steht dem ältesten Bruder mehr Macht im Unternehmen zu?
Mainald der Mächtige beginnt sich in seiner Position als Repräsentant des Unternehmens zu langweilen. Seine Geschwister sind schon lange bei den Geschäftspartnern und Kunden etabliert und deren Ansprechpartner für alle Belange. Ihm fällt auf, dass immer weniger Geschäftspartner nach ihm fragen. Neulich hat er ungewollt ein Gespräch seines Bruders Clemens dem Cleveren belauscht, in dem Clemens einem der wichtigsten Geschäftspartner empfahl, sich bei Fragen oder Problemen an Mainald zu wenden. Dieser wollte sich jedoch lieber direkt an Clemens wenden, da er sich doch sowieso besser auskenne. Mainald der Mächtige fühlt sich nutzlos, überflüssig und vor allem machtlos – und Macht ist das, wonach er am meisten strebt.

Seine Unzufriedenheit hat auch damit zu tun, dass der Erstgeborene seiner Stiefmutter, Max der Machthungrige, im Unternehmen mitwirken möchte. Mit ihm hatte er sich schon als Kind heftige Machtkämpfe geliefert, weil sich ihm Max der Machthungrige nicht unterordnen möchte, wie dieser es für sich als Erstgeborenen beansprucht. Mainald fragt sich, welche Position sein Vater Max im Unternehmen anbieten wird und ob dieser dadurch mächtiger als er wird.

Auch sein zweiter Stiefbruder, Loja der Loyale, der gerade mal ein Jahr jünger ist als Max, wird bald in das Unternehmen eingeführt. Er bewundert seinen älteren Bruder sehr, obwohl der lange nicht so clever ist wie er. Ihm zuliebe stellt er meist seine eigenen Bedürfnisse zurück. Loja wird bestimmt Max Verbündeter bei seinem Machtkampf gegen Mainald werden und ihn unterstützen, wo er nur kann und seine mangelnde Kompetenz weitgehend vertuschen.

Im Nachhinein hat Mainald das Gefühl, dass es ein Fehler war, seine Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten so stark einschränken zu lassen. Er beraumt eine Gesellschafterversammlung ein, in der er seine Position im Unternehmen neu gestalten möchte.

Dazu meint Vera Knauer, Expertin für Nachfolgen in Familienunternehmen: Aktuell werden Familienunternehmen in der Regel nicht mehr nach dem klassischen Thronfolgermodell an den Erstgeborenen übergeben, sondern an eine Geschwistergesellschaft. Dafür gibt es viele gute Gründe. Für das älteste Geschwisterkind kann das aber eine besondere Herausforderung sein. Wie stark dessen Anspruch auf „Alleinherrschaft“ im Unternehmen ist, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab.

Prägend ist hierbei natürlich die Erziehung durch die Eltern. War für die Eltern von Vornherein klar, dass allen Geschwistern die Unternehmensnachfolge ermöglicht werden soll, wird die Erziehung aller Geschwister darauf ausgelegt und alle werden gleich bei ihren Ausbildungs- und Berufswünschen unterstützt. Grundsätzlich werden die Dynamiken einer Familie von vielen Faktoren bestimmt, wie der jahrelang erworbenen Verhaltensweise der Geschwister untereinander, der Beziehung der Geschwister in Abhängigkeit von Geschlecht und Altersabstand, dem Stellenwert, den der Gründer den einzelnen Geschwistern einräumt sowie der Wahrnehmung der Geschwister untereinander.

In diesem Artikel gehe ich speziell auf das Mächteverhältnis zwischen zwei Brüdern ein, da mir die Konstellation mit zwei Brüdern als Doppelspitze eines Familienunternehmens in der Beratung häufig begegnet. Ist der Altersabstand zwischen den beiden Brüdern sehr groß, wirken Dynamiken, die ich in einem meiner folgenden Artikeln näher beschrieben werde. Der häufigere Fall ist aber ein Altersabstand von wenigen Jahren. Als Kinder waren die beiden Brüder Spielkameraden und mehr oder weniger auf Augenhöhe, wobei auch hier natürlich der ältere Bruder das Bewusstsein hatte, der Erstgeborene zu sein. Ihre in der Kindheit erworbenen Verhaltensweisen bestimmen im Regelfall später das Rollenverhalten im Führungsteam eines Unternehmens.

In manchen Brüderbeziehungen überlässt der jüngere Bruder dem Älteren freiwillig die Führung und Entscheidungsfindung, zunächst als Kinder im Spiel, später im Führungsteam des Unternehmens. Nach außen wirkt diese Beziehung sehr harmonisch, ebenfalls sowohl in der Familie wie im Unternehmen und man könnte meinen, jeder wäre mit seiner Rolle zufrieden. Bei genauerer Betrachtung sieht das anders aus. Oft besteht im Verborgenen eine große Unzufriedenheit und es fehlt den Brüdern nur der Mut oder die Anleitung, das erworbene Rollenverhalten umzugestalten. Indes ist dies unumgänglich, wenn sich bei den Brüdern unterschwellig negative Gefühle ausbreiten, wie Wut wegen der gefühlten Benachteiligung, wenn sich der jüngere Bruder weiterhin dem Machtanspruch des älteren Bruders unterwirft, obwohl er sich als mindestens gleich kompetent wie er erlebt. Der ältere Bruder hingegen wird eher Schuldgefühle empfinden, weil er sich „mal wieder“ über die Interessen oder Ideen des Bruders hinweggesetzt, oder dessen Entscheidungen blockiert hat.

Diese Gefühlswelt führt dazu, dass unternehmerische Entscheidungen davon beeinflusst und nicht unter sachlichen Aspekten getroffen werden. Beispielsweise kann es sein, dass der jüngere Bruder dem älteren Bruder nachgibt, um die Harmonie zwischen ihnen, in der Familie und im Unternehmen nicht zu gefährden. Oder der ältere Bruder überlässt dem jüngeren Bruder Entscheidungen bei Themen, die ihm selbst nicht so am Herzen liegen, um damit seinem Bruder auch „mal einen Stein in dessen Garten zu werfen“ und ihm das Gefühl der Entscheidungsteilhabe zu geben. Beide Handlungsweisen haben negative Auswirkungen auf Entscheidungen, die nach gemeinsamer gründlicher Diskussion womöglich anders hätten getroffen werden müssen.

Konfliktpotenzial birgt aber auch eine Änderung im Rollenverhalten. Hatte sich der jüngere Bruder während der Kindheit immer an den älteren Bruder angepasst, so ist wahrscheinlich, dass dieser daraus ein gewisses Machtverhalten und daraus resultierend auch ein Machtbedürfnis entwickelt. Die Rolle des jüngeren Bruders kann sich aber mit dem Erwachsenwerden ändern, beispielsweise durch eine längere Abwesenheit während eines Studiums, in dem er sich zu einer selbstbewussten Persönlichkeit entwickelt hat. Später, im Führungstandem, möchte er dann durchaus seine Interessen und Ideen durchsetzen. Für den älteren Bruder ist diese Veränderung irritierend und eine typische Verhaltensweise bei verändertem Rollenverhalten in Familienunternehmen ist, dass alle krampfhaft am bestehenden System festhalten, sofern sie keinen Vorteil in der Systemänderung erkennen können.

Wie wird er also mit dem veränderten Rollenverhalten zurechtkommen? Möglicherweise ist er stolz auf die Entwicklung seines Bruders und freut sich darüber, einen kompetenten Partner an seiner Seite zu haben, eine echte Doppelspitze. Vielleicht versucht er aber auch, die Bestrebungen des Bruders nach Gleichberechtigung im Unternehmen zu demontieren. Ein in diesem Thema versierter Berater kann hier bei der Findung einer neuen Führungskonstellation helfen und diese in eine Unternehmens-Governance einbinden. Da immer beide Systeme – Familie und Unternehmen – in einem Familienunternehmen zusammenwirken, ist die Auflösung solcher Konflikte unter der Wahrung der systemischen Gesetze auch für das Familiensystem wichtig. Besteht schon eine Governance, ist jetzt der Zeitpunkt für eine Aktualisierung eingetreten. Generell ist die Governance immer wieder auf einen Aktualisierungbedarf zu prüfen, spätestens dann, wenn Veränderungen im Gesellschafterkreis geplant sind.

Bildquelle: Staatsgalerie Stuttgart; Dosso Dossi (?) (um 1480-90 – 1542); David und Goliath, um 1530/1540