Wie erreichen nachrückende Geschwister Gleichberechtigung beim Einstieg in das Familienunternehmen?
Als Experten für Nachfolger in Familienunternehmen berichten wir hierzu über unsere Erfahrungen: Ein wichtiger Faktor bei den Familienkonstellationen ist das Alter der Geschwister zueinander. In der Familienforschung zeigt sich, dass eine Geschwisterbeziehung umso intensiver ist, desto geringer der Altersabstand ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass große Altersabstände zwischen den Geschwistern ein weniger intensives Verhältnis der Geschwister zur Folge haben. Der Älteste funktioniert eher als Vorbild für den Jüngsten und nicht als Spielkamerad wie bei Geschwistern ähnlichen Alters. Die Beziehungsorientierung des ältesten Geschwisters ist bei einem sehr großen Altersabstand oft von Fürsorge für das jüngste Kind geprägt. Möglicherweise haben ihm die Eltern schon früh die Verantwortung für das viel jüngere Geschwister übertragen. Dafür erwartet der ältere vom jüngeren ein hohes Maß an Loyalität und Solidarität.
Solche typischen Ausprägungen sind nicht zwingend, da andere Einflüsse überwiegen können. Da wir diese aber häufig in der Beratung von Unternehmensnachfolgen beobachten, ist es wichtig, auch die spezielle Geschwisterkonstellation des großen Altersabstands zu beschreiben. Denn in jeder spezifischen Familienkultur gibt es Regeln, nach denen die Familienmitglieder bewusst oder unbewusst handeln – insbesondere kooperieren oder konkurrieren. Durch die Kopplung der beiden Systeme, Familien- und Unternehmenssystem, hat das Familiensystem immer Auswirkungen auf das Unternehmenssystem. In der Kindheit jahrelang erworbene Verhaltensweisen der Geschwister, bestimmen im Regelfall später das Rollenverhalten im Führungsteam eines Familienunternehmens.
Durch den großen Altersabstand ist das älteste Geschwisterkind bei den Eltern automatisch in der Rolle des designierten Nachfolgers, während beim Jüngsten möglicherweise noch nicht einmal dessen Eignung und Neigung zu erkennen ist. Jüngere Geschwister haben in der Regel bei der Berufswahl deutlich größere Freiheiten und fühlen sich weniger als die älteren Geschwister verpflichtet, die Erwartungshaltung ihrer Eltern bezüglich der Unternehmensnachfolge zu erfüllen. Dabei kann es sich um explizit ausgesprochene, aber auch um nicht artikulierte, den Eltern vielleicht sogar unbewusste, Erwartungen handeln. Die Orientierung an den Eltern ist am stärksten beim erstgeborenen Geschwister ausgeprägt, das jüngste Geschwister orientiert sich hauptsächlich am Erstgeborenen, vor allem bei einem großen Altersabstand unter den Geschwistern.
Oft begleitet der Vater den Prozess der Unternehmensübergabe des ältesten Geschwisters. Später ist dann das schon einige Jahre in der Geschäftsführungsposition aktive Geschwister dafür zuständig, das jüngste Geschwister in das Unternehmen zu integrieren. Aus der etablierten Rolle des Vorbilds und Fürsorgers wird möglicherweise in der Folge der Anspruch abgeleitet, dass der Jüngste sich führen und beraten lässt. Das steht einem gleichberechtigten Verhältnis bei der Führung eines Familienunternehmens im Weg.
Manchmal findet eine Fixierung des jüngsten Geschwisters auf die Rolle des kleinen Bruders oder der kleinen Schwester statt, die dazu führt, dass sich das jüngste Kind in der Zusammenarbeit widerstandslos der Dominanz des Ältesten fügt. Bekannt sind uns aber auch einige Fälle, in denen das nachziehende Geschwisterkind sich zu einer selbstbewussten Persönlichkeit entwickelt hat und die eigenen Kompetenzen gleichberechtigt in das Familienunternehmen einbringen möchte. Konflikte sind in beiden Fällen vorprogrammiert, denn auch das vordergründig angepasste Geschwister wird unterschwellig Enttäuschung verspüren, wenn es die eigenen Ideen nicht realisieren kann.
Hier greifen wieder die Metaprinzipien und Grundannahmen nach von Kibéd und Sparrer nach denen der Platz, den ein Geschwisterkind in der Reihenfolge einnimmt, entscheidend ist. Er muss mit seinen speziellen Eigenschaften respektiert werden, unter Akzeptanz der natürlichen Rangfolge im Verhalten und in der Kommunikation sowie nach dem der Platz als Erstgeborener im Familiensystem von einem jüngeren Geschwister nicht strittig gemacht werden soll. Wenn ein wesentlich jüngeres Geschwister in das Familienunternehmen nachrückt, werden nach dem zweiten Metaprinzip aber Änderungen in der Geschwistergesellschaft erforderlich, beispielsweise eine Umkehrung des Prinzips „Vorrang des Früheren vor dem Späteren“, da solche Situationen einer vermehrten Aufmerksamkeit bedürfen, um innere Stabilität zu ermöglichen.
Wir raten hier zu der Aufstellung einer Family Business Governance, in der Regeln verankert sind, nach denen jüngere Geschwister in das Unternehmen nachrücken können und die ein gleichberechtigtes Wirken der Geschwister im Familienunternehmen ermöglichen. Empfehlenswert bei dieser Geschwisterkonstellation ist die frühzeitige Entwicklung dieser Governance, möglichst so lange der Unternehmensgründer noch im Unternehmen aktiv ist.